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Zum Tag der Bibliotheken: Wir brauchen demokratische Orte der Begegnung
Eine Gesellschaft ohne Bibliotheken ist eine arme Gesellschaft. Zum Tag der Bibliotheken untersuchen wir den gesamtgesellschaftlichen Wert der demokratischsten Orte, die wir haben.
Der Tag der Bibliotheken findet seit 1995 immer am 24. Oktober statt – mit zahlreichen Veranstaltungen in vielen Bibliotheken des Landes. „Dieser Tag ist von großer Bedeutung, insbesondere in den Gegenden, in denen die Relevanz von Bibliotheken hinterfragt wird“, verdeutlicht Katinka Emminger, die Direktorin der Stadtbibliothek Stuttgart. „Wir leben das natürlich jeden Tag, aber es ist eine gute Gelegenheit, die große Bandbreite von Bibliotheken aufzuzeigen – und ihre Rolle als Orte der Demokratieförderung, politischen Bildung und Medienkompetenz.“
- 1Der Wert der Bibliotheken
- 2Warum sich eine Gesellschaft Bibliotheken leisten sollte
- 3Wie sich Bibliotheken weiterentwickelt haben
- 4Medienbildung und digitale Arbeit
Der Wert der Bibliotheken
Bibliotheken entspringen im Herzen der Demokratie. Aus den Klosterbibliotheken wurden im 18. und 19. Jahrhundert sukzessive öffentliche Bibliotheken, die Wissen für alle zugänglich machen wollten. Ein ehrbares, ein wichtiges Bestreben – und eines, das bis heute nichts von seiner Dringlichkeit verloren hat. Bibliotheken, so heißt es im Deutschlandfunk, sind „wichtige Orte der Begegnung“. Es sind niederschwellige und gesamtgesellschaftliche Bildungsstätten, die für die Demokratie einstehen und unschätzbare Arbeit im Bereich der Leseförderung, Medienkompetenz und politischen Bildung leisten. „Als ein wichtiger Faktor für Nachhaltigkeit sind es auch speziell in dünner besiedelten Gegenden diese Häuser, die in ihren Räumen gesellschaftliche Begegnungen ermöglichen und mit ihrer Veranstaltungsarbeit Kultur und Bildung vor Ort fördern“, so der Deutschlandfunk weiter.
Wie so oft, hängt über diesen Orten das allgegenwärtige Damoklesschwert der Finanzierung. Bibliotheken sind längst eine bedrohte Art. „Schaut man sich die entsprechenden Statistiken des Deutschen Bibliotheksverbandes an“, berichtet der Deutschlandfunk, „so führt diese Jahr für Jahr Bibliotheken auf, deren Fortbestand bedroht ist oder die vor Schließungen stehen – in einigen Fällen nur temporär, in anderen aber auch leider ganz.“ Das lässt natürlich auch die Stadtbibliothek Stuttgart nicht kalt. „In uns löst das Kampfgeist aus“, so Katinka Emminger, die Direktorin der Stadtbibliothek. „Bibliotheken haben wahrscheinlich zu lange in ihren eigenen Häusern verbracht. „Heute ist es wichtiger denn je, dass wir rausgehen, dass wir laut sind, dass wir zeigen, was wir alles tun.“
Warum sich eine Gesellschaft Bibliotheken leisten sollte
Das ist eine ganze Menge, mehr sogar, als man in einem Artikel wie diesem aufzählen kann. Katinka Emminger fasst es deswegen so zusammen: „Bibliotheken sind die demokratischsten Orte überhaupt in unserer Gesellschaft. Weil sie offen sind für alle Bürger, weil es keine Rolle spielt, welches Geschlecht die Besucher*innen haben, wie alt sie sind, welche Nationalität sie haben oder welcher Religion sie angehören.“ Bücher sind da nur ein Pfeiler. „Ebenso wichtig ist die Bibliothek als ein Ort der Begegnung“, fährt die Direktorin fort. „Hier kommen Menschen miteinander ins Gespräch, was Demokratieförderung pur ist. Das ist unser Arbeitsauftrag. Und eine Gesellschaft, die Bibliotheken schließt, ist eine arme Gesellschaft.“ Was passiert, wenn man Bibliotheken schließt oder Menschen Bücher und Wissen durch Zensur oder mutwillige Zerstörung vorenthält, haben wir in der Geschichte schon oft genug erlebt.
Das sieht man auch in der Württembergischen Landesbibliothek (WLB), der großen wissenschaftlichen Bibliothek des Landes, nicht anders. „Bibliotheken sind Orte des Wissens, die dieses Wissen aber nicht nur bewahren, sondern teilen und vermitteln“, bringt es Petra Steymans-Kurz auf den Punkt. Die WLB ist ein gutes Beispiel dafür, wie viel politische Bildung ein solches Haus bietet. Es gibt Vorträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen, Ausstellungen zu Themen wie Protest oder Inflation und ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm. Von 2016 bis 2019 war die WLB im Land außerdem federführend bei einer Durchleuchtung der Bestände nach NS-Raubgut. Über 100.000 antiquarische Erwerbungen aus den Jahren 1950 bis 1970 wurden eingehend untersucht – ein essentieller Faktor demokratiefördernder Arbeit. „Diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist wichtig für unsere Gegenwart und somit ein wichtiges Stück politischer Arbeit“, sagt Steymans-Kurz. Als Archiv bewahrt die WLB die Geschichte des Landes, macht sie für die Forschung und das Verstehen von aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen aber auch nacherlebbar.
Wie sich Bibliotheken weiterentwickelt haben
Bibliotheken sind nicht mehr die Orte, die sie früher waren. Zwar steht die Wissensvermittlung nach wie vor im Vordergrund; die erfolgt mittlerweile aber deutlich vielseitiger und oft auch im digitalen Raum. Und noch etwas hat sich getan: Früher ging es für Schüler*innen überwiegend nach der Schule in die Bibliothek, und das freiwillig. „Das waren zu meinen Zeiten fast ausschließlich Kinder aus bildungsnahen Familien“, erinnert sich Katinka Emminger. „Heute finden diese Besuche vormittags während der Schulzeit statt – und es werden so fast alle Kinder erreicht.“
Das ist ein großer Schritt in Richtung Chancengleichheit – auch wenn die Herkunft eines Kindes immer noch großen Einfluss auf die späteren beruflichen Chancen hat. Emminger ist das deswegen immer noch zu wenig: „Unser Haus steht allen Bürger*innen offen, doch wenn ich mit aufmerksamem Blick durch die Bibliothek gehe, nehme ich immer wieder wahr, dass nicht alle Bürgergruppen unserer Stadtgesellschaft vertreten sind. Das macht mich ein Stück weit unzufrieden mit meiner eigenen Arbeit. Es motiviert mich aber auch, noch mehr zu tun und die Zusammenarbeit mit Kulturvereinen zu verstärken und den Fremdsprachenbereich auszubauen.“
Medienbildung und digitale Arbeit
Bibliotheken sind Orte, an denen Tag für Tag Medienbildung und digitale Kompetenz gefördert wird. In der Stadtbibliothek Stuttgart ist das der Bereich, in dem Esther Fehn aktiv wird. „Wir wollen das Haus zu einem für alle zugänglichen Ort machen, an dem Wissen lebendig wird, an dem es einen Austausch gibt mit Autor*innen und Expert*innen.“ Im Fokus steht hier die digitale Lesekompetenz, ein weites Feld, das die „digitale Mündigkeit der Bürger*innen stärkt“, so Fehn. Da gibt es Seminare zum Coding, Events mit dem Chaos Computer Club zu Hacking oder Cyber-Security, Veranstaltungen zu KI, Urheberrechten oder dem Erkennen von Deep Fakes. „Wir wollen erforschen, was die Technologie mit der Gesellschaft macht“, fasst die Kuratorin zusammen.
Ein großes Anliegen ist ihr auch das Schaffen einer paritätischen Welt. „Im Haus treffen sich regelmäßig die Gruppen von Wikipedia:Stuttgart und wiki:wo:men, um beispielsweise ausführliche Artikel zu Wissenschaftlerinnen zu verfassen, die in der patriarchalisch geprägten Online-Enzyklopädie immer noch unterrepräsentiert sind“, sagt Fehn. Dazu zählt auch die Reihe „Nerds + Writers“, bei der regelmäßig Wissenschaftlerinnen mit Schriftstellerinnen aufeinandertreffen. Der nächste Termin ist der 28. November 2024, dann zum Thema „Klassenbeste: Wie sehr formt soziale Herkunft unsere Identität?“ Fehn dazu: „Bei uns dreht sich vieles um soziale Gerechtigkeit und die Frage, wie wir Zugänge für wirklich alle schaffen können.“ Das ist eine gewaltige Aufgabe. Doch ein Anfang ist längst getan. Und der wäre ohne Bibliotheken nicht möglich gewesen.
Stand: Oktober 2024
Weiterführende Informationen
Weitere Links
www.bibliotheksverband.de
Veranstaltungen zum Tag der Bibliotheken
www.unesco.de
Manifest der UNESCO zur Rolle der Bibliotheken
www.de.wikipedia.org
Die Stadtbibliothek Stuttgart bei Wikipedia