Warum extreme Stimmen auf TikTok so erfolgreich sind

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Warum extreme Stimmen auf TikTok so erfolgreich sind

Warum extreme Stimmen auf TikTok so erfolgreich sind

TikTok ist vor allem bei jungen Menschen beliebt. Das machen sich radikale Gruppierungen zunutze.

Nicht erst die Landtagswahlen haben gezeigt, dass Medien wie TikTok mittlerweile entscheidend für Wahlergebnisse mitverantwortlich sind. Woran das liegt – und was man dagegen tun kann.

Es ist ja leider nichts Neues, dass extreme Gruppierungen die sozialen Medien für ihre Zwecke nutzen und teilweise sogar Mitglieder über die gängigen Plattformen rekrutieren. Die aktuellen Landtagswahlen und das besorgniserregend gute Abschneiden der AfD gerade bei jüngeren Wähler*innen rückt die Relevanz von Diensten wie TikTok für die politische Situation im Land aber wieder mal in den Mittelpunkt.

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    Wie die AfD auf TikTok funktioniert
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    TikTok als Rekrutierungscamp
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    Wie funktioniert Radikalisierung überhaupt?
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    Die Ziele des neuen Schulfachs
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    Und jetzt?

Wie die AfD auf TikTok funktioniert

Der Erfolg der AfD bei den letzten Landtagswahlen kann zum großen Teil der Plattform TikTok und dessen Algorithmus zugeschrieben werden. Davon zumindest war in den vergangenen Tagen und Wochen häufig die Rede. Und es scheint etwas dran zu sein: Eine Studie belegt, dass die AfD in TikToks weiterführenden Suchvorschlägen öfter empfohlen wird als andere Parteien. Zudem, so die Studie, seien über 20 Prozent der Vorschläge extremistisch oder dessen verdächtig.

Kerria Drüppel, Medienpsychologin an der Universität Hohenheim, erklärt: „Was die AfD insbesondere auf TikTok von anderen Parteien unterscheidet, ist zum einen, dass sie schon viel länger auf der Plattform aktiv sind und zum anderen, dass sie sich viel mehr auf die TikTok-Logik einlassen. Das heißt: Kurze Videos, prägnante Aussagen. Außerdem polarisieren sie natürlich auch auf TikTok, eben so wie sie es überall tun. Das regt Interaktion an, was wiederum den Algorithmus freut.“ Man darf aber natürlich auch nicht vergessen, dass sich andere Parteien weigern, in 30 Sekunden vermeintliche Antworten auf komplexe Themen und Sachverhalte zu liefern.

Bei TikTok kommt es auch deswegen so oft zu Fake News, weil es reicht, dass viele nach diesen Dingen suchen. Denn sobald viele Menschen nach falschen Meldungen wie „Scholz Rücktritt“ oder „Putin greift an“ suchen, verselbstständigt sich das alles wie eine Lawine. „Bei TikTok konsumiert man unzählige Videos, setzt sich aber gar nicht mit den Inhalten auseinander“, so Drüppel. „Und wenn ich immer wieder unterbewusst eine radikale Botschaft wahrnehme, selbst wenn sie nicht wahr ist, dann kann das eventuell einen Einfluss auf die Wahlentscheidung haben.“ Die oben erwähnte Studie sieht in TikTok deswegen eine systemische Gefahr für den öffentlichen Diskurs und damit letztlich auch für die Demokratie.

TikTok als Rekrutierungscamp

Die AfD ist natürlich nur ein prominentes Beispiel, wie man auf TikTok Bauernfang betreibt. „Der Verfassungsschutz beobachtet zum Beispiel, dass die Partei „Der III. Weg“ und ihre Jugendgruppe „Nationalrevolutionäre Jugend“ ihre Narrative über TikTok verbreiten“, sagt Dr. Irina Jugl-Kuntzsch vom Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg (konex). „Außerdem berichtet er über Aktivitäten von Salafisten und Dschihadisten auf der Plattform. Rund um den Nahost-Konflikt gab es ebenfalls viel Propaganda und extremistische Inhalte, die auf der Plattform kursierten. Neben bestimmten Gruppen sind häufig auch einzelne Influencer*innen aus den verschiedenen Extremismusphänomenbereichen aktiv.“

Bei der Bildungsstätte Anne Frank spricht man in diesem Zusammenhang sogar von einer regelrechten „Speed-Radikalisierung“. „Kein anderes Soziales Medium versorgt eine so vulnerable Zielgruppe mit derart verstörendem Content – weitgehend ohne Aufsicht“, heißt es in einem betreffenden Artikel beim Tagesspiegel. Das beobachtet auch Dr. Jugl-Kuntzsch. „Über TikTok können die Narrative extremistischer Akteur*innen sehr schnell und sehr weit verbreitet werden. Algorithmen begünstigen, dass extremistische Inhalte auf die „For-You-Page“, die Startseite, gespült werden. Aber auch fehlende Moderation und Regulierung erleichtern die Verfügbarkeit extremistischer Inhalte.“

Wie funktioniert Radikalisierung überhaupt?

Nicht alle TikTok-User*innen übernehmen gleich extreme oder extremistische Meinungen, wenn sie ein entsprechendes Video sehen. Daher haben es die radikalen TikTok-Gruppen auf eine ganz bestimmte Zielgruppe abgesehen. „Häufig sorgen zum Beispiel Mobbing, biographische Brüche oder Mangel an sozialer Einbindung zu einer höheren Anfälligkeit für Radikalisierung“, so Dr. Jugl-Kuntzsch. „Im Netz lassen sich dann die dadurch entstandenen Bedürfnisse nach Sinn und Zugehörigkeit erfüllen. Extremistische Akteur*innen nutzen das ganz gezielt aus und verbreiten ihre Narrative im Netz. Sie bieten vermeintlich einfache Lösungen in einer komplexen Welt an.“

Zu erkennen ist nicht immer sofort, ob die eigenen Kinder oder Schüler*innen radikalisiert wurden. Zeichen gibt es dennoch, weiß Jugl-Kuntzsch. „Personen, die sich radikalisieren, ziehen sich oft aus ihrem Familien- und Bekanntenkreis zurück. Manche ändern auch ihr Auftreten, tragen zum Beispiel Kleidung mit einschlägigen Symbolen, hören extremistische Musik. Meistens verengt sich auch ihr Blick auf die Welt. Sie beginnen, die Welt in gut und böse einzuteilen, sich abwertend über Andersdenkende zu äußern und sogar Gewalt zu befürworten.“

In einem solchen Fall ist Handeln gefragt. In Baden-Württemberg gibt es verschiedene Stellen, an die man sich wenden kann. Die Initiative Toleranz im Netz stellt verschiedene Meldestellen für Hass im Netz vor, und das Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg (konex) bietet Beratung für das Umfeld an, das Veränderungen wahrnimmt, und begleitet Menschen, die sich aus extremistischen Szenen distanzieren wollen.

Die Ziele des neuen Schulfachs

Wie bei vielen gesamtgesellschaftlichen Problemen, gibt es auch auf diese Antwort keine einfache Frage. Aber: Medienbildung und politische Bildung sind auch hier ein Schlüssel. Dr. Irina Jugl-Kuntzsch sagt dazu: „Der Schutz, also die Prävention, vor Radikalisierung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es braucht Projekte zur Demokratieförderung und Stärkung von Medienkompetenz sowie kritischem Denken. Doch auch Strafverfolgung ist nötig, wenn sich das Verhalten im Netz durch Hate Speech oder Aufrufe zu Straftaten gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet.“

Extremen Gruppierungen einfach die TikTok-Kanäle zu sperren, wie es etwa Campact fordert, sei aber eben gar nicht so einfach. „Zentral ist die Frage, welche Inhalte eingeschränkt werden dürfen, ohne die Meinungsfreiheit zu verletzen. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, damit sich niemand für seine Meinung vor staatlicher Repression oder Zensur fürchten muss“, betont Jugl-Kuntzsch. „Doch wenn Straftaten begangen werden, dann sind die Grenzen der Meinungsfreiheit erreicht. Als Grundsatz gilt: Was offline verboten ist, ist in der Regel auch online verboten. Damit solche Inhalte nicht ohne Konsequenzen bleiben, braucht es Zusammenarbeit zwischen staatlichen Behörden und den Betreibern von Online-Plattformen.“

Und jetzt?

Nach den ernüchternden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, bei denen fast ein Drittel der 18-24-Jährigen die AfD gewählt haben, bleibt neben Fassungslosigkeit natürlich auch die Frage zurück, wie man weitermachen soll. Wie gewinnt man diese Menschen zurück, wie tritt man mit ihnen wieder in den Dialog? Jugl-Kuntzsch merkt an, dass wir in einer Zeit mit multiple Krisen leben. Das bedeutet auch, dass viele Menschen anfälliger für extreme Position und ihre einfachen Lösungen sind. Wichtig wäre es, der Bevölkerung hier zu helfen, nicht diesem ersten Impuls nachzugeben. „Für Jugendliche braucht es außerdem ganz besonders Angebote, die ihnen Raum bieten, ihre Identität zu bilden, sich der Gesellschaft zugehörig zu fühlen und sich mit den Chancen und Herausforderungen einer komplexen Welt auseinanderzusetzen.“

Stand: September 2024

Weiterführende Informationen

Über den Autor

Björn Springorum ist freier Journalist und Schriftsteller. Er schreibt u.a. für die Stuttgarter Zeitung, den Tagesspiegel und konzipiert Comic-Geschichten für “Die drei ???". Als Schriftsteller hat er bislang fünf Kinder- und Jugendbücher verfasst. Zuletzt erschienen: “Kinder des Windes" (2020), Thienemann Verlag. Er lebt in Stuttgart.