Sollte Deutschland Social Media erst ab 16 Jahren zugänglich machen?

HERE GOES INVISIBLE HEADER

Sollte Deutschland Social Media erst ab 16 Jahren zugänglich machen?

Nach Australiens Vorstoß: Sollte Deutschland Social Media erst ab 16 Jahren zugänglich machen?

Australien will Social Media unter 16 Jahren verbieten. Was sind die Vor- und Nachteile eines solchen Verbots?

Stand: Dezember 2024 | Lesezeit: 5 min.

Die aktuelle COPSY-Studie sieht einen direkten Zusammenhang zwischen schlechter psychischer Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen und der Nutzung der sozialen Medien. Sie untersucht u.a. die Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie das Familienumfeld und den Medienkonsum auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Australien hat darauf reagiert und weltweit für Aufsehen gesorgt: Ende 2025 soll Social Media dort aus Gründen des Jugendschutzes erst ab 16 Jahren zugänglich sein. Wäre das auch in Deutschland vorstellbar? Ist ein Verbot überhaupt eine gute Idee? Und was tut sich sonst in Sachen Jugendmedienschutz?

  1. 1
    Was ist in Australien überhaupt passiert?
  2. 2
    Social Media und psychische Gesundheit
  3. 3
    Was ein Mediencoach dazu sagt
  4. 4
    Lehnen sich die Plattformen nur zurück?
  5. 5
    Die Situation in Deutschland

Was ist in Australien überhaupt passiert?

Australiens Premier Anthony Albanese schickte vor wenigen Wochen deutliche Worte in Richtung Facebook, TikTok und Co.: In einer Pressekonferenz bezeichnete er die sozialen Medien als „Geißel“ der Kinder und betonte: „Wir wissen, dass soziale Medien sozialen Schaden anrichten und die Kinder von echten Freunden und echten Erfahrungen fernhalten.“ Der Plan der Regierung: Social Media erst ab 16 Jahren erlauben – und das ab Ende 2025. Dieser Vorstoß findet sogar Unterstützung in der Opposition: „Wir glauben nicht, dass TikTok je für Kinder sicher gemacht werden kann, wir glauben nicht, dass Snapchat jemals für Kinder sicher gemacht werden kann und wir glauben nicht, dass Instagram für Kinder sicher sein kann“, so der Sprecher der Liberalen Partei, David Coleman. Wie dieses Gesetz letztlich umgesetzt wird, ist allerdings noch offen. Klar ist nur, dass es verabschiedet wurde. Und bei Nichteinhaltung Strafen von bis zu 31 Millionen Euro drohen. Erfolgen soll die Alterserkennung über KI-Tools oder Biometrie. Auch eine Abfrage mittels Personalausweis ist denkbar.

Social Media und psychische Gesundheit

Ein derartiger Vorstoß ist bislang einzigartig. Und könnte große Signalwirkung haben: Vielfach wird diskutiert, welchen Einfluss Social Media auf Kinder und Jugendliche hat, welche Risiken und Gefahren in den Netzwerken lauern. Auch die Ergebnisse der COPSY-Studie zeigen eine Korrealtion von Social-Media-Nutzung und mangelnder psychischer Gesundheit bei jungen User*innen. Die Gretchenfrage aber ist und bleibt: Inwiefern kann ein Verbot wirklich dazu beitragen, dass junge Menschen im Internet besser geschützt sind?

Was ein Mediencoach dazu sagt

Kristin Langer, Mediencoach für den Elternratgeber SCHAU HIN! – Was dein Kind mit Medien macht, sieht in Sachen Jugendschutz Handlungsbedarf, hält aber nicht viel von Verboten. „Eltern und andere Erziehungsverantwortliche haben ihre eigene Erziehungskompetenz“, sagt sie. „Niemand sollte ihnen etwas vorschreiben, sondern vielmehr unterstützend wirken. Medienpädagogik ist schließlich keine Rezeptpädagogik.“ Natürlich setzt sich auch sie für eine altersgerechte Mediennutzung ein, betont aber die Wichtigkeit, dass Kinder Schritt für Schritt in einen digitalen Alltag hineinwachsen können. Und ein striktes Verbot bis zum Alter von 16 Jahren erschwere dies. „Es ist wichtig, dass sich Kinder Schritt für Schritt mit der digitalen  Welt  vertraut machen und wissen, was dort auf sie zukommt. Da ist es äußerst dienlich, wenn Kinder schon eine digitale Routine entwickelt und die Grundlagen der digitalen Welt durchlaufen haben“ , so Langer.

Australiens Vorstoß betrachtet sie deswegen kritisch. „Aus meiner pädagogischen Sicht gehört es klar dazu, dass sich Kinder innerhalb einer digitalen Gesellschaft entwickeln können. Und das funktioniert eben nicht, wenn sie bis zu ihrem 16. Geburtstag wenig bis gar keinen Kontakt damit haben“, betont sie. Mit Blick auf die UN-Kinderrechtskonvention sieht sie zudem eine weitere Problematik: Dort ist das Recht der digitalen Teilhabe verankert. „Auch aus diesem Grund halte ich eine Regulierung  per Gesetz für schwierig.“ Ganz allgemein, so Langer, vertritt die Inititiative SCHAU HIN! das Motto „verstehen ist besser als verbieten.“

Lehnen sich die Plattformen nur zurück?

Fest steht dennoch: Auch wenn es bereits Regulierungen für die großen Plattformen gibt und immer wieder betont wird, dass große Anbieter wie Meta mehr ins Gebet genommen werden müssen, tut sich von Big-Tech-Seite herzlich wenig. Bei vielen Expert*innen wächst in Bezug auf Australiens Vorstoß daher die Sorge, dass sich die Plattformen noch mehr zurücklehnen könnten, sollten sie erst ab 16 Jahren zugänglich sein. Michael Ellwanger, Leiter des Referats Medienrecht, Medienpolitik und Rundfunkwesen im Staatsministerium Baden-Württemberg, betont aber: „Das Umfeld der großen Plattformen ist mitnichten so unreguliert, wie es bisweilen kolportiert wird. Insbesondere der Digital-Services-Act setzt neue Standards für den Schutz vor illegalen Inhalten von Online-Plattformen und Suchmaschinen. Nicht umsonst gibt es seitens der EU-Kommission laufende Verfahren gegen fast jede der großen Plattformen.“ Klar ist aber: Luft nach oben gibt es immer.

Die Situation in Deutschland

Aber wäre so etwas in Deutschland überhaupt ohne weiteres umzusetzen? Hierzulande müssen Social-Media-Plattformen zumindest Altersbeschränkungen in ihren Nutzungsbedingungen festlegen – und die liegen fast immer unter 16 und meist bei 13 Jahren. Eine Überprüfung ist jedoch sehr schwierig. Wir können also erst mal gespannt in Richtung Australien schauen und beobachten, wie dieses Gesetz seinen Weg geht. „Viele Fragen sind offen, weil es noch keine Blaupause dafür gibt“, so Ellwanger zu Australiens Plänen. „Gesetze und Papier sind bekanntlich geduldig, aber es bleibt abzuwarten, wie das Ganze letztlich überprüft und durchgesetzt wird. Darauf gibt es auch in Australien noch keine endgültige Antwort. Im Raum stehen verschiedene Maßnahmen – von einer Überprüfung mittels Personalausweis bin hin zu KI-Tools, die das potentielle Alter der User*innen durch ihr Nutzungsverhalten einschätzen sollen.“

Wie Kristin Langer, ist auch er nicht der größte Fan von Verboten. Viel eher gehe es ihm um einen Ausbau des Jugendmedienschutzes. Und da gibt es konkrete Ansatzpunkte für weitreichende Änderungen, wie er schildert: „Ziel ist es, die großen Anbieter der Betriebssysteme wie IOS und Android zu verpflichten, eine Art Kurzwahl-Button ins Betriebssystem zu integrieren, mit dem man den Jugendschutz jederzeit ganz einfach aktivieren und deaktivieren kann. So wie den Flugmodus. Dann werden auf dem Endgerät nur noch Apps angezeigt, die der gewählten Altersregulierung unterliegen – sechs, zwölf oder 16 Jahre.“

Weiterführende Informationen

Über den Autor

Björn Springorum ist freier Journalist und Schriftsteller. Er schreibt u.a. für die Stuttgarter Zeitung, den Tagesspiegel und konzipiert Comic-Geschichten für “Die drei ???". Als Schriftsteller hat er bislang fünf Kinder- und Jugendbücher verfasst. Zuletzt erschienen: “Kinder des Windes" (2020), Thienemann Verlag. Er lebt in Stuttgart.