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Der Medienwandel gefährdet unsere Demokratie – wer ist eigentlich Schuld daran?
Eine funktionierende Demokratie braucht Qualitätsjournalismus. Aber was geschieht mit unserer Gesellschaft, wenn die öffentliche Meinungsbildung zunehmend unreguliert im Internet stattfindet?
Die Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist voll entbrannt. Mal wieder. ARD, ZDF und Deutschlandfunk sollen reformiert werden, entschlackt auch, Sender sollen wegfallen, Kosten eingespart werden. Diese Diskussion ist nicht neu, wirft im Zuge des Medienwandels aber dringende Fragen auf.
- 1Der Medienwandel
- 2Game Over, Democracy?
- 3Medien sind nicht länger Gemeingüter
- 4Die Medienregulierung ist gefragt
- 5Konsequenzen für die Demokratie
Der Medienwandel
Junge Erwachsene nutzen Medien grundlegend anders als die Generation davor. Das Internet, und da vor allem die sozialen Medien, ist längst wichtigster Bezugsort für Nachrichten und wird somit zum Treiber für Meinungsbildung. Die Nutzung etablierter Medien ist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen gleichzeitig stark rückläufig – ein Trend, der Hand in Hand mit dem zuletzt stetig sinkenden Vertrauen der Bevölkerung in die etablierten Medien geht. Das hat schon jetzt starke Auswirkungen, wie wir bei den letzten Landtagswahlen oder ganz aktuell bei der US-Wahl gesehen haben.
Dabei ist guter Journalismus heute so wichtig wie vielleicht nie zuvor. „Öffentlich-rechtliche Medien haben Mitverantwortung für die Stabilität der Demokratie – gerade in Zeiten von Populismus, Propaganda und erstarkendem Rechtsextremismus“, meint auch Sina Fröhndrich vom Deutschlandfunk dazu. „Demokratie lebt von Debatte und von aufrichtigem Streit, der sich an Regeln und Fakten hält – mit dem Ziel der Wahrheitsfindung.“
Game Over, Democracy?
Wie kann das aufrechterhalten werden, wenn viele journalistische Leitmedien (mit Ausnahme junger öffentlich-rechtlicher Formate wie etwa funk) ganz offensichtlich den Sprung auf den digitalen Zug verpasst haben und seither hinterherhecheln? Dieser Frage stellt sich auch der Medienpolitische Kongress am 14. November 2024 in den Stuttgarter Wagenhallen. Der Kongress möchte mit einem breitgefächerten Spektrum an Fachleuten Strategien und Modelle für einen neuen Umgang mit der veränderten Medienwelt diskutieren und Lösungsansätze ausloten. Einer der Speaker ist dort auch Prof. Dr. Martin Andree, Professor für Medienwissenschaft und Digitale Medien an der Universität zu Köln. Sein Panel: „Game Over, Democracy? Wie wir die freien Medien retten“.
Medien sind nicht länger Gemeingüter
Herr Andree, was ist eigentlich aus dem Internet geworden?
Die Erfindung des World Wide Web durch Tim Berners-Lee war zunächst eine der segenreichsten Innovationen in der Geschichte der Menschheit. Allerdings haben die Big-Tech-Konzerne den westlichen Gesellschaften in den letzten zwei Jahrzehnten das freie Internet gestohlen. Die Nutzung findet fast ausschließlich auf den Plattformen statt, unabhängige Anbieter werden quasi ausgetrocknet. Wir schauen weiter tatenlos zu und lassen die Tech-Riesen gewähren.
Was zeichnet den aktuellen Medienwandel aus? Warum ist er anders, gewichtiger?
Medien waren in der Geschichte stets Gemeingüter, sie gehörten der ganzen Gesellschaft. Das ist heute anders. Das erste Mal in der Geschichte der Medien „gehören“ komplette Mediengattungen privaten Konzernen. Diese können damit weitgehend machen, was sie wollen. Als Gesellschaft haben wir also unsere eigenen Gestaltungsmöglichkeiten für die digitalen Medien verloren. Diese werden von Big Tech gestaltet und kontrolliert. Das wird vor allem für junge Menschen ein Problem. Wenn die analogen Medien in Zukunft erst einmal weggeschmolzen sind, werden sie in einer Medienwelt leben, die von einer Handvoll US-Konzerne kontrolliert wird.
Die Medienregulierung ist gefragt
Die Diskussion um die Öffentlich-Rechtlichen ist mal wieder in vollem Gange. Was müssen diese Medien jetzt tun, um nicht abgehängt zu werden?
Sie können nichts tun, solange die Medienregulierung weiterhin die digitalen Medien ignoriert. Die Öffentlich-Rechtlichen werden analog weiter abschmelzen. Und digital haben sie keine Chance, weil Big Tech unter monopolistischen Bedingungen das digitale „Schienennetz“ gehört. Das gilt auch für die geplante öffentlich-rechtliche Plattform. Und wenn die Öffentlich-Rechtlichen ihre Inhalte bei den Plattformen einstellen, arbeiten sie erstens gratis für Big Tech und sind zweitens nicht mehr unabhängig – denn sie müssen sich hier nach den Algorithmen der Plattformen richten
Das Vertrauen in Medien allgemein sinkt. Wie kann die Kluft zwischen Publikum und Medien wieder geschlossen werden?
Die redaktionellen Medien können nur dann ein Revival schaffen, wenn sie faire Zugangsmöglichkeiten erhalten. Durch die aktuelle Unwucht zugunsten der Plattformen haben sie aber einen schweren Stand, sie verlieren auch ihre Finanzierungsgrundlage. Diese strukturelle Schwäche wird aktuell natürlich von den Populisten und anderen Demokratiefeinden von Putin bis Musk zum eigenen Vorteil ausgenutzt.
Wie könnte KI sinnig in diesen Wandel eingebunden und zugleich reguliert werden?
Auch auf diesem Feld haben unsere Regulierer Deutschlands und Europas digitale Wertschöpfung widerstandslos an die Tech-Riesen abgetreten. Diese dürfen zu Trainingszwecken quasi alle europäischen Inhalte nutzen. Wir hätten umgekehrt verlangen müssen, dass europäische KI-Startups zu Trainingszwecken einen vollen Zugang zu allen Inhalten erhalten, die europäische Nutzer*innen jemals auf Big Tech Plattformen eingestellt haben. Wir hätten durch einen solchen oder ähnlichen Zugang schnell eine blühende europäische KI-Industrie aufbauen können. Die Asymmetrie des Datenzugangs ist so schlimm, dass ich Europa unter den aktuellen Bedingungen ebenfalls für chancenlos halte.
Konsequenzen für die Demokratie
Welche Konsequenzen hat der Medienwandel für die Demokratie und den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft?
Schuld ist nicht der Medienwandel, sondern unsere eigene Fehlregulierung. Wir regulieren Plattformen wie Infrastrukturen, obwohl diese auf dieselbe Weise spezifische Medieninhalte monetarisieren wie etwa das Fernsehen. Die Plattformen dürfen bis heute auch strafbare Inhalte monetarisieren, also Rassismus, Diskriminierung, Holocaustleugnung, Aufforderung zu Straftaten. Sie tun dies, weil wir es ihnen erlauben. Andere Regelungen wären möglich. Man könnte beispielsweise das Prinzip einführen: Wer wirtschaftliche Verantwortung für spezifische Inhalte übernimmt, muss auch die inhaltliche Verantwortung übernehmen.
Welchen Einfluss haben Fake News, Hate Speech, Filterblasen und Echokammern auf die demokratische Willensbildung?
Wir erleben den Zusammenbruch des politischen Diskurses und verlieren die inklusive Öffentlichkeit im Sinne von Habermas. Die USA haben jetzt wieder gezeigt, wohin die Reise auch bei uns gehen wird.
Welche Strategien und Modelle haben wir denn dann aber eigentlich für einen neuen Umgang mit der veränderten Medienwelt?
Es wäre leicht möglich, die digitalen Medienmärkte zu öffnen. Eine solche Öffnung ist sowieso alternativlos, da die digitalen Medienmonopole in einem Widerspruch zu den freiheitlichen Prinzipien des deutschen Medienrechts stehen. Konkrete Vorschläge haben wir zuletzt geäußert unter www.mstv2go.de.
Dennoch bleibt festzuhalten: Hoffnungsschimmer gibt es immer. Der Erfolg vom Sendeformat funk gerade bei einer jungen Zielgruppe zeigt, dass gewissenhaft recherchierte Nachrichten auch im steten Hintergrundrauschen der sozialen Medien geklickt und geteilt werden. Liegt natürlich auch an einer entsprechenden Förderung. Das bringt uns wieder zurück zur Ausgangssituation in Sachen Reform der Öffentlich-Rechtlichen: Es darf eben nicht an den falschen Enden gespart werden, wenn seriöse Medien nicht digital abgehängt werden sollen.
Vielen Dank für das Gespräch, Prof. Dr. Martin Andree, Professor für Medienwissenschaft und Digitale Medien an der Universität zu Köln.
Stand: November 2024
Weiterführende Informationen
Weitere Links
www.deutschlandfunk.de
Die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen für die Demokratie
www.swr.de
Über die Reform der Rundfunkanstalten
www.faz.net
Kommentar zur Rundfunkreform