Von Candy Crush bis Sportwetten: Was die Fussball-EM mit medialem Glückspiel zu tun hat

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Von Candy Crush bis Sportwetten: Was die Fussball-EM mit medialem Glückspiel zu tun hat

Von Candy Crush bis Sportwetten: Was die Fussball-EM mit medialem Glückspiel zu tun hat

Martin Epperlein ist Suchtberater für Glücksspielabhängige bei EVA Stuttgart. Im Interview erklärt er, wie harmlose App-Games für Kinder eventuell zu Spielsucht führen können – und was sie mit Sportwetten im Fußball zu tun haben.

Gäste der Fussball-Europameisterschaft haben es wahrscheinlich schon bemerkt: überall großformatige Banner und  Reklame von Betano, Sportwettenanbieter und einer der Sponsoren der Europameisterschaft in Deutschland. Das mag auf den ersten Blick nicht verwundern, birgt aber ein Risiko: Mehr und mehr Menschen in Deutschland sind spielsüchtig und verschulden sich durch Sportwetten. Solch eine allgegenwärtige Werbung kann da leicht als Trigger wirken – ähnlich wie beim VfB Stuttgart, dessen neuer Sponsor Winamax aus derselben Branche kommt und viel Kritik einstecken musste, denn Spielsucht ist ein ernstzunehmendes Problem. Sportwettenanbieter wissen das. Sie machen es ihren Kund*innen immer einfacher zu wetten und ein schnelles Handyspiel verspricht schnelles Geld – oder eben noch mehr Schulden. Eine neue Studie hat gezeigt, dass Deutschland die Glücksspielsucht jährlich 326 Millionen Euro kostet. Und Großevents wie die EM mit ihren Sponsoren können diese Summe sogar noch steigern.

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    Von Videogames zur EM
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    „Videospiele wie diese können ein Einstieg in die Spielsucht sein“
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    „Lootboxen sind ein Substitut, wie man es von Drogenabhängigen kennt“
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    „Spielsucht nimmt zu“

Von Videogames zur EM

Die meisten Videospiele sind harmlos. Dies mal gleich vorweg. Wenn sich Eltern an die empfohlenen Altersangaben halten und offen mit ihren Kindern über Medienzeiten sprechen, können sich Games sogar positiv auf kognitive oder motorische Fähigkeiten auswirken. Es gibt aber Ausnahmen. Immer mehr Online-Games und Videospiele bieten sogenannte „Lootboxen“ an. Diese virtuellen Behälter, die eine zufällige Sammlung bestimmter Gegenstände enthalten, kann man freispielen oder kaufen. Im Interview macht Martin Epperlein, Suchtberater für Glücksspielabhängige bei EVA Stuttgart klar: Das kann ein erster Schritt in Richtung Spielsucht sein. Und da sind für viele junge Menschen vor allem Sportwetten interessant.

„Videospiele wie diese können ein Einstieg in die Spielsucht sein“

Die EM macht im großen Stil Werbung für Sportwetten, auch der Hauptsponsor des VfB Stuttgart ist ein Sportwettenanbieter. Wie kritisch ist das zu sehen?

Durchaus kritisch. In unserer Therapiegruppe sind viele aufgebracht, dass sie jetzt überall in der Stadt mit Werbung für Sportwetten konfrontiert werden. Sie wollen unbeschwert ein Fußballspiel schauen und sind plötzlich mit ihrem Problem konfrontiert oder werden möglicherweise sogar getriggert. Viele haben Angst, dass sie rückfällig werden.

Können App-Games oder Videospiele den Weg in eine Spielsucht befeuern – gerade durch die sogenannten Lootboxen, die ja durchaus viele Glücksspielelemente aufweisen?

Videospiele wie diese können ein Einstieg in die Spielsucht sein, ja. Letztes Jahr hatte ich einen Klienten, der damals 21 Jahre war, aber schon im Alter von 13 Jahren mit Sportwetten angefangen hat, weil es ihn interessierte und er einen Zugang über die Kreditkarten des Vaters hatte. Wie viele Jugendliche, spielte er davor Fifa oder Counter-Strike. Dort hat er Skins, also neue Looks für seine Spielfigur erworben, die einen fünfstelligen Wert hatten. Damit wollte er dann seine Spielschulden begleichen. Angefangen hat es eben auch bei ihm ganz harmlos mit den zufälligen Lootboxen von FIFA. Die hat er fleißig gekauft.

„Lootboxen sind ein Substitut, wie man es von Drogenabhängigen kennt“

Und ist damit in eine gewisse Abhängigkeit gerutscht?

Genau. Das ist die Taktik der Glücksspielindustrie: Sie platziert auch in Spielen mehr und mehr Zufallsereignisse, um die Leute an Glücksspiel zu gewöhnen. Dieses Lootbox-System ist zunehmend auch ein Substitut, wie man es von Drogenabhängigen kennt. Wer früher immer am Automaten hing, der zockt heute häufig FIFA. Spiele wie Candy Crush schaffen zudem schon visuell und klanglich gewisse Muster, die sehr nah am klassischen Automatenspiel sind und dort dann plötzlich als Trigger wirken können.

In Deutschland werden sogenannte Lootboxen in Videospielen nicht als Glücksspiel reguliert. Andere EU-Länder machen das anders. Was muss sich da ändern?

Wenn ich jetzt völlig unpolitisch als Therapeut spreche, dann wäre für mich eine Reduktion solcher Lootboxen wichtig. Vielleicht sogar ein Verbot. Dann ist allerdings die Gefahr, dass alles in den illegalen Bereich abwandert. Das ist deswegen auch das Hauptargument der Lobbyisten, die sagen, sie machen es lieber legal als illegal. Solche Mechanismen in Spielen sind aber nicht nur Gift für die Betroffenen, sondern auch ein gewisses Risiko für diejenigen, die einfach nur gern spielen. Die meisten können das ja kontrollieren und sind deswegen nicht gefährdet. Aber eben nicht alle. Wie immer gilt für die Eltern also, offen mit ihren Kindern über deren Medienkonsum zu sprechen, feste Medienzeiten festzulegen und den Nachwuchs bestmöglich in Sachen Medienbildung zu schulen.

„Spielsucht nimmt zu“

Herr Epperlein, nimmt Spielsucht zu?

Die Spielsucht nimmt zu, verlagert sich aber zunehmend in den digitalen Bereich. 70 Prozent der Betroffenen betreiben inzwischen Online-Glücksspiel, entweder als alleinige oder zusätzliche Glücksspielform.

Wo gibt es die meisten Betroffenen im Online-Glücksspiel?

Das drittelt sich: Ein Drittel Sportwetten, ein Drittel Automatenspiel, ein Drittel klassisches Glücksspiel wie Poker oder Roulette. Das Besondere ist aber: Man kann alle Spielvarianten auch online zocken. Die meisten Betroffenen sind junge Männer, wir haben gerade mal rund acht Prozent Frauen bei uns in der Beratung.

Warum sind gerade Sportwetten so beliebt?

Weil die Menschen denken, damit schneller Verluste ausgleichen zu können. Erst vorhin hatte ich einen Klienten, der früher klassisch an Automaten in der Gastronomie gespielt hat. Ein junger Mann, Mitte 20, der noch dazu in einem Fußballverein ist und deswegen natürlich denkt, einen Vorteil durch seine Expertise zu haben. Anfangs hat er damit dann tatsächlich auch kleinere Gewinne erzielt, aber irgendwann wendet sich eben das Blatt. Und dann setzt man aggressiver, um die Verluste auszugleichen und weil man denkt, dass man es ja eigentlich in der Hand hat. Wir nennen das kognitive Verzerrung: Ein sehr häufiger Denkfehler unserer Klient*innen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Epperlein.

Sehr gerne! Für weitere Fragen und Beratung zum Thema Spielsucht steht die eva Evangelische Gesellschaft Stuttgart e.V. jederzeit zur Verfügung. 

Stand: Juni 2024

Weiterführende Informationen

Über den Autor

Björn Springorum ist freier Journalist und Schriftsteller. Er schreibt u.a. für die Stuttgarter Zeitung, den Tagesspiegel und konzipiert Comic-Geschichten für “Die drei ???". Als Schriftsteller hat er bislang fünf Kinder- und Jugendbücher verfasst. Zuletzt erschienen: “Kinder des Windes" (2020), Thienemann Verlag. Er lebt in Stuttgart.