Medienbildung in der frühkindlichen Erziehung

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Medienbildung in der frühkindlichen Erziehung

Medienbildung in der frühkindlichen Erziehung

Frühkindliche Medienbildung Der Artikel erschien im Innenteil der Mai-Ausgabe KiTa aktuell 2017. Autor Rudi Hoogvliet ist Sprecher der Landesregierung Baden-Württemberg; verantwortet seit 2016 zudem die Medienpolitik des Landes und damit auch die Initiative Kindermedienland Baden-Württemberg politisch.

Unterstützung in der frühkindlichen Medienbildung 
Das Land Baden-Württemberg will die Fachkräfte im Bereich der frühkindlichen Medienbildung unterstützen. Dabei geht es nicht darum, Vorschulkinder vor einen Bildschirm zu setzen. Die vor allem extensive, konsumierende Mediennutzung von Kleinkindern ist äußerst kritisch zu bewerten. Das reale Leben zeigt allerdings, dass Kleinkinder bereits vom ersten Atemzug an von Medien umgeben sind. Neben den klassischen Medien wie Buch, Zeitung oder Hörspiel kommen hier vermehrt auch digitale und konvergente Medien wie Smart-TVs, Tablets und Smartphones hinzu. Daher kommen Einrichtungen der frühkindlichen Bildung nicht mehr darum herum, sich mit der Medienbildung aktiv auseinander zu setzen.

  1. 1
    Einleitung
  2. 2
    Faktoren für eine gelingende Medienerziehung
  3. 3
    „Medienfreie Kitas“ als Kontrast zum Elternhaus?
  4. 4
    Wie Fachkräfte die Mediennutzung der Kinder wahrnehmen
  5. 5
    Die Aufgabe der Kindertageseinrichtungen: niederschwellige Medienerziehung
  6. 6
    Frühkindliche Medienbildung in Baden-Württemberg
  7. 7
    Ohrenspitzer und Ohrenspitzer mini
  8. 8
    Fazit

Einleitung

Natürlich stehen Eigenaktivitäten wie Beobachten, Entdecken, Untersuchen, Hören, Riechen, Tasten, Denken, Sprechen, Handeln und mitfühlendes Erleben im freien Spiel oder durch Nachahmung im direkten Kontakt mit vertrauten Beziehungspersonen im Vordergrund einer gesunden frühkindlichen Entwicklung.

Studien wie die miniKIM-Studie 2020 zeigen jedoch, dass Medien bereits in der frühen Kindheit 2- bis 5-Jähriger eine zentrale Rolle spielen. Mehr als die Hälfte dieser Altersgruppe sieht jeden oder fast jeden Tag fern. Neben dem Fernsehen und Lesen von Büchern haben Kinder in diesem Alter auch bereits häufig Erfahrungen mit Hörspielen, Musik, Radio, Foto- und Filmkameras, Smartphones, Tablet- und Computerspielen. Laut dem Medienbildungskonzept „Medienbildung entlang der Bildungskette“ können Medien „nicht mehr vollständig aus den individuellen wie sozialen Praktiken der Kleinkinder herausgehalten werden; sie sind allgegenwärtig“.

Faktoren für eine gelingende Medienerziehung

Mit welchen Medien, in welchem Umfeld und vor allem in welchem Umfang Kinder mit Medien in Berührung kommen, hängt sehr stark von der Lebenssituation der Familie ab. Entscheidende Faktoren sind hierbei der Bildungshintergrund und die Beschäftigungssituation der Eltern. Dies wirkt sich nicht nur auf die allgemeinen Bildungschancen aus, sondern auch auf die Bildung von kindlicher Medienkompetenz.

Dabei führt ein höherer Bildungsstand der Eltern meist zu mehr Vorleseaktivitäten und weniger Computerspiel- und Internetnutzung. Weitere Faktoren für die kindliche Medienkompetenz sind neben der Nutzung und Verfügbarkeit von digitalen Medien in der Familie auch die elterliche Medienkompetenz. Diesen Zusammenhang beschreibt der Medienkompetenzbericht der Bundesregierung, aus dem hervorgeht „dass die Medienkompetenzentwicklung von Kindern insbesondere vom Verhalten und den Einstellungen der Eltern gegenüber Medien und gegenüber den Kindern selbst abhängt“. Weiterhin empfiehlt der Bericht, „dass Eltern in der Medienerziehung beratende, kommunikative und informierende Unterstützung benötigen, insbesondere dann, wenn Medien zum Anlass für Konflikte in der Familie werden“. Daher wird auch hier eine Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Kindertageseinrichtungen vorgeschlagen. Empfehlenswert erscheint darüber hinaus, dass kleinere Kinder möglichst nie alleine den Eindrücken der Medien überlassen werden, sondern stets dabei begleitet werden sollten. Dabei sollten die Eltern sensibel wahrnehmen, was ihr Kind ängstigt, was es fasziniert, was es versteht und wo Fragen auftauchen.Diese Erlebnisse können dann gemeinsam besprochen und aufgearbeitet werden.

„Medienfreie Kitas“ als Kontrast zum Elternhaus?

In den Familien werden digitale Medien vielfältiger und häufiger genutzt als in pädagogischen Institutionen. Diese Unterschiede ergeben sich aus dem tatsächlichen Medienhandeln in der Familie und dem pädagogischen Anspruch der Fachkräfte. Medienpädagog*innen fordern eine vernetze Medienbildung zwischen den einzelnen Erfahrungsräumen. Denn letztlich überschneiden sich die Bildungsziele der Elternhäuser und der Medienpädagog*innen: Kinder langfristig zu einem verantwortlichen und selbstbewussten Umgang mit Medien zu erziehen.

Wie Fachkräfte die Mediennutzung der Kinder wahrnehmen

Die Fachkräfte in Kindertagesstätten werden täglich mit den Medienerfahrungen der Kinder konfrontiert. Zum einen verarbeiten Kinder ihre Medienerlebnisse im alltäglichen Spielen und Handeln. Teilnehmer*innen aus dem Programm der Initiative Kindermedienland „Medienwerkstatt Kindergarten“ berichten u.a. davon, dass das Nachspielen von Serien und bekannten Filmen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Darüber hinaus wird Medienberatung immer häufiger Bestandteil von Elterngesprächen, was auch die mini-KIM-Studie 2020 bestätigt: Besucht das Kind eine Einrichtung wird das Thema „Kinder und Medien“ bei einem Drittel der Haupterzieher*innen gelegentlich (28 %) und bei 34 Prozent selten auf Elternabenden oder in Elterngesprächen angesprochen. Häufig findet dieses Thema nur bei sieben Prozent der Einrichtungen statt, nie dagegen bei einem Fünftel (21 %).

Die Aufgabe der Kindertageseinrichtungen: niederschwellige Medienerziehung

Frühkindliche Medienbildung muss also zum Ziel haben, Fachkräfte als kompetente Ansprechpartner*innen bei der Medienerziehung auszubilden. Der Medienpädagoge Norbert Neuß bezeichnete im Medienkompetenzbericht der Bundesregierung u.a. folgende Bereiche als Aufgabenfelder der Medienkompetenzförderung in Kindertagesstätten:

  • Medien als Erfahrungsspiegel betrachten: Kinder zu ihren Medienerlebnissen zeichnen, spielen, fantasieren lassen.
  • Medien zur Sensibilisierung der Sinne einsetzen: Mithilfe von Vorleseprojekten sollen Sinnesleistungen sowie Wahrnehmungskompetenzen und hierbei insbesondere Sprach- und Zuhörfähigkeit gefördert werden.
  • Medien als Erinnerungs- und Erzählhilfe einsetzen: Erfahrungen, die Kinder in ihrer Lebenswelt machen, sollen mithilfe von Fotos und Tagebüchern gesammelt werden.
  • Medien durchschauen helfen: „Medien sind von anderen Menschen mit bestimmten Absichten gemacht“. Mit aktiver Medienarbeit wie z.B. Trickfilmarbeit können mediale Entstehungsprozesse erschlossen werden.
  • Medien als kooperative Erziehungsaufgabe verstehen: Projekte zur Stärkung der medienpädagogischen Erziehungskompetenz von Eltern.

Kindertageseinrichtungen können bei der Medienerziehung unterstützen, indem sie das Thema bei einem Elternabend aufgreifen und berichten, wie Kinder Medien wahrnehmen und verarbeiten. Dabei kann auch die eigene Mediennutzung reflektiert und für die Bedeutung der Medienerlebnisse der Kinder sensibilisiert werden.

Frühkindliche Medienbildung in Baden-Württemberg

Der Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen Kindergärten greift die Notwendigkeit der frühen Medienbildung auf: „Kinder heute haben Zugang zu vielen Dingen und sammeln auch Erfahrungen mit neuen Medien, die faszinierend wirken. Figuren und Handlungen ziehen Jungen und Mädchen aber durchaus unterschiedlich an. Die Bilder der ungefilterten Medienwelt können Kinder bedrängen. Der Kindergarten nimmt deshalb den Medienalltag der Kinder in sein Bildungs- und Erziehungskonzept auf. Erzieher*innen nehmen sensibel wahr, welche Spuren Medieneindrücke bei Kindern hinterlassen. Sie beobachten, welche Verarbeitungsmechanismen Mädchen und Jungen haben, damit sie nicht zu stark geängstigt und überfordert sind. Gerade diese Kinder sollen Unterstützung erhalten, wie sie sich in ihrem Medienalltag zurechtfinden, wie sie ihre Medienerfahrungen im Spiel, beim Malen, Erzählen verarbeiten können. Medienprojekte, die viele Sinne ansprechen, wie ein Theaterspiel, das Erfinden eines Hörspiels, das Herstellen eines Daumenkinos oder von Fotokollagen können die Medienkompetenz von Kindern anbahnen und fördern“.

Der Erwerb medienpädagogischer Kompetenzen ist ein Ziel der Erzieher*innenausbildung sowie der Kinderpflegeausbildung. In unterschiedlichen Handlungsfeldern werden medienpädagogische Kompetenzen vermittelt. Darüber hinaus ist die Thematik in einem eigenen Lernfeld „Medienpädagogisch handeln“ verankert. Alle Studiengänge „Frühkindliche Bildung und Erziehung“ und „Elementarpädagogik“ an den sechs Pädagogischen Hochschulen im Land enthalten Module zur Medienbildung.

Seit 2013 ist die Medienbildung einer von vier inhaltlichen Schwerpunkten in den gemeinsamen Empfehlungen des Kultusministeriums, der kommunalen Landesverbände, der kirchlichen und sonstigen freien Kindergartenträgerverbände sowie des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales zur Qualifizierung des pädagogischen Personals in den Kindertageseinrichtungen. Daher ist die frühkindliche Medienbildung auch ein Programmbestandteil der Fortbildungsangebote der pädagogischen Fachkräfte.

Auch wenn das Land hier unterstützend tätig ist, muss betont werden, dass sowohl die medienpädagogischen Konzepte als auch die Medienausstattung nicht in der Verantwortung des Landes, sondern letztlich in der Verantwortung des meistens kommunalen Kindergartenträgers liegen.

Ohrenspitzer und Ohrenspitzer mini

Das Ohrenspitzer-Projekt bringt Kinder im Alter zwischen drei und 14 Jahren mit der Bedeutung des gekonnten Zuhörens, interessanten Hörspielen und aktiver Hörspielgestaltung in Berührung, da das Hören nicht nur als reine Sinneswahrnehmung, sondern auch mit Herz und Verstand funktioniert. Zuhören erfordert Aufmerksamkeit und Konzentration und ist damit eine Basis- und Schlüsselkompetenz.

Bei dem Projekt „Ohrenspitzer mini“ sollen Kinder zwischen drei und sechs Jahren gezielt üben, bewusst zuzuhören und eigene Kriterien für gute Hörmedien und einen aktiven Mediengebrauch zu entwickeln. Hierfür kommen ausgebildete pädagogische Mitarbeiter*innen in die Kindertageseinrichtung und führen dort gemeinsam mit den Erzieher*innen Praxisprojekte durch.

Die Projekte „Ohrenspitzer“ und „Ohrenspitzer mini“ werden von der Stiftung MedienKompetenz Forum Südwest (MKFS) gefördert.

Fazit

Wir leben in einer zunehmend digitalisierten, medialen Welt. Die teilweise als Idealbild beschworene medienfreie Kindheit bildet, egal wie man dazu steht, die Realität nicht ab. Gute Politik muss aber ihren Ausgangspunkt in der Betrachtung der Wirklichkeit finden. Daher besteht ein Bedarf, Kinder nicht schon in frühen Jahren mit ihren Medienerfahrungen alleine zu lassen, sondern das nicht immer einfache Thema Medienbildung auch in den Kindertageseinrichtungen pädagogisch qualifiziert aufzugreifen.

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Fotos: Christian Reinhold (Landesmedienzentrum BW). Die Fotos entstanden im Rahmen des Programms „Medienwerkstatt Kindergarten“ in einer Waiblinger Kindertagesstätte.

 

Stand: September 2023

MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG VON

KiTa aktuell 05/2017