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True-Crime-Podcasts: Harmloser Nervenkitzel oder jugendgefährdend?
Podcasts sind das Medium der Stunde. Insbesondere die sogenannten True-Crime-Formate nach wahren Kriminalfällen fahren Rekordzahlen ein. Welche Gründe hat das? Und birgt das vielleicht auch die Risiken?
Corona hat dem weltweiten Podcast-Markt einen grandiosen Boom beschert. Unter den zahlreichen populären Formaten finden sich zuhauf sogenannte True-Crime-Podcasts, in denen wahre und oftmals überaus grausame Kriminalfälle und Mordserien aufgearbeitet werden. Das birgt eine große Faszination – aber auch das ein oder andere Risiko.
- 1Der Siegeszug der Podcasts
- 2True-Crime-Formate als Quotenbringer
- 3Die Risiken von True Crime
- 4Die Vorteile von True Crime
- 5Der SchoolCrime-Podcast
Der Siegeszug der Podcasts
Vor der Jahrtausendwende gab es den Podcast noch nicht. Zwar sind auch damals schon Gesprächs- oder Talkformate im Audioformat verfügbar, die waren aber meist nur auf einer bestimmten Webseite abrufbar und nicht zentral zu abonnieren. Streaming-Anbieter wie iTunes oder Spotify änderten die Spielregeln schnell: 2006 gab es in Deutschland rund 1300 Podcasts, ab 2008 stiegen immer mehr Tageszeitungen oder Fernsehsender ein. Immer bessere Technik, spielend leichte Herstellungsmethoden und Streaming-Abos sorgen in der Folge für einen regelrechten Flächenbrand an neuen Podcasts, folgend weiter angefacht durch die Corona-Pandemie. Entsprechend deutlich sind die Zahlen: Im Jahr 2023 hörten 43 Prozent aller Deutschen zumindest hin und wieder Podcasts. 2016 waren es noch 16 Prozent.
Die Popularität des Hörmediums erklärt Saskia Nakari, Medienpädagogische Referentin beim Stadtmedienzentrum Stuttgart so: „Podcasts sind so beliebt, weil sie unglaublich vielseitig sind. Zu wirklich jedem Thema gibt es mittlerweile einen Podcast. Dadurch, dass wir auch Prominenten aus Film, Fernsehen und Internet beim Plaudern über teilweise private Themen lauschen können, steigt auch die parasoziale Bindung. Man bekommt das Gefühl, ihnen nah zu sein und sie besser kennenzulernen.“ Ein weiterer Vorteil gegenüber etwa dem Fernsehen sei, dass man sie nebenbei hören könne. „Erwachsene beispielsweise beim Autofahren, Kochen, Putzen oder Sporttreiben.“
True-Crime-Formate als Quotenbringer
Schnell kristallisierte sich auf dem nationalen und internationalen Podcast-Markt ein Überflieger heraus: Sogenannte True-Crime-Formate, also Podcasts, in denen reale Verbrechen nacherzählt und aufgearbeitet werden. In den USA haben aktuell mehr als die Hälfte der 20 meistgehörten Podcasts auf iTunes einen True-Crime-Bezug, in Deutschland hören ein Drittel regelmäßig zu. Wie die Macromedia Hochschule herausgefunden hat, übrigens mehr Frauen als Männer: Rund 24 Prozent der Podcast-Hörerinnen sind von True Crime fasziniert, im Vergleich zu 13 Prozent der männlichen Hörer. „Je unsicherer die gesellschaftliche Situation, desto größer ist das Bedürfnis nach Sicherheit. Und diese Sicherheit“, so Nakari, „findet man beispielsweise in Krimis. Hier begleitet man Menschen aus der Strafverfolgung bei ihrer Arbeit und am Ende werden die Täterinnen und Täter gefasst und bestraft. Das gibt uns ein gutes Gefühl.“
Eine Rolle spiele außerdem das sogenannte „sensation seeking“, das Saskia Nakari als „eine Art Angstlust“ beschreibt. „Man sucht gefährliche Situationen und Erfahrungen auf, ohne direkte Risiken in Kauf nehmen zu müssen. Spannung und Gewalt lösen physische Reaktionen des Körpers aus, die man so im Alltag meist nicht erlebt. So kann der Konsum von gewalthaltigen Inhalten das Erregungsniveau anheben, sollte man das Gefühl haben, unterfordert oder gelangweilt zu sein. Dieser Nervenkitzel kann wie eine Art Belohnung wirken.“
Die Risiken von True Crime
Aktuelle Zahlen belegen, dass auch immer mehr Jugendliche True-Crime-Formaten lauschen. Klar: Der Reiz des Verbotenen ist in jungen Jahren ein ewig großes Lockmittel. Dennoch betont Nakari: „Viele True-Crime-Inhalte sind für eine jüngere Zielgruppe nicht geeignet, da dort Gewalttaten zum Teil sehr detailliert geschildert werden.“ Doch genau hier liegt ein Problem: Auf Streamingportalen gibt es keine Alterskennzeichen und keine Empfehlungen. „Oft finden wir Triggerwarnungen in der Folgenbeschreibung, aber auch die geben keinen direkten Hinweis auf das empfohlene Mindestalter der Zuhörerinnen und Zuhörer.“
Ihre Empfehlung: Insbesondere jüngere Kinder sollten Streamingdienste wie Spotify nicht ohne elterliche Begleitung nutzen. „Es besteht überdies die Möglichkeit, unangemessene Inhalte zu filtern. Jugendlichen ab 14/15 Jahren hingegen“, findet sie, „kann man bereits einiges zutrauen und zumuten.“ Zu beachten ist dann vor allem eines: Kinder sind mittendrin, statt nur dabei. „Sie tauchen förmlich in die Medienwelten hinein und lieben als auch leiden mit ihren Medienfiguren mit“, nickt Saskia Nakari. „Wenn sie dann mit Inhalten konfrontiert sind, die ihrem Alter und somit ihrer emotionalen und psychosozialen Entwicklung nicht entsprechen, sind sie auch schnell überfordert.“ Das kann ihr zufolge durchaus mal Alpträume verursachen oder die Realitätskonstruktion so beeinflussen, dass Kinder irreale Ängste aufbauen.Im Gegensatz zu Filmen oder Serien muss bei True-Crime-Podcasts außerdem klar sein, dass es sich in den Folgen jeweils um wahres Leid handelt. „Ebenso sollte man drauf achten, wie stark das Kind mit den Täterinnen und Tätern sympathisiert und auch hier nachfragen, was faszinierend daran ist“, so Nakari.
Die Vorteile von True Crime
Neben den Risiken hat das beliebte Genre aber eben auch klare Vorteile. „Formate wie dieses sind meist sehr informativ“, erläutert Nakari. „Man bekommt mit, wie Polizeiarbeit läuft und wie unser Rechtssystem funktioniert, eventuell auch, wie man sich vor ähnlichen Taten schützen kann.“ Ein klarer Benefit auch für jüngere Zuhörer*innen. „Zudem“, fährt sie fort, „bekommt man die Möglichkeit, in die Psyche der Täterinnen und Täter einzutauchen, etwas über ihr Leben zu erfahren und ihre Motive nachzuvollziehen.“
Durch das Hören von True-Crime-Podcasts setzen wir uns mit Täter*innen sowie Opfern auseinander. Wir reflektieren die wahren Fälle auf einer Meta-Ebene und werden uns darüber bewusst, wie wir selbst dazu stehen. Das kann Selbstreflexion triggern und Empathie schulen. Und letzten Endes sind True-Crime-Podcasts ja auch nichts anderes als die moderne Version von „Aktenzeichen XY ungelöst“. Diese Sendung fesselt bekanntlich seit 1967 ein Millionenpublikum.
Der SchoolCrime-Podcast
Auch Saskia Nakari produziert einen eigenen Podcast – „SchoolCrime – Wenn das Smartphone zur Waffe wird“. „Der Podcast richtet sich in erster Linie an Erwachsene aus schulischen Kontexten. Er soll Hilfestellung bieten, um digitale Grenzüberschreitungen zu erkennen, ihnen vorzubeugen und natürlich tätig zu werden, wenn sich ein Vorfall im nahen Umfeld ereignet“, erklärt sie. Die Mischung aus TrueCrime- und Bildungs- und Unterhaltungsformat aus dem großen Kontext Schule kommt an, momentan gibt es auch nichts Vergleichbares. „In jeder Folge bespreche ich mit Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Handlungsfeldern wahre Smartphone- bzw. Internetdelikte an Schulen. Ich recherchiere dazu immer direkt an der Quelle. Da ich durch meine Tätigkeit als Medienpädagogin an Schulen immer wieder mitbekomme, was die Heranwachsenden mit ihren mobilen Endgeräten so treiben, ist die Idee zu einem solchen Format entstanden. Häufig sind Lehrkräfte und Eltern mit derartigen Delikten überfordert und wissen nicht, wie sie reagieren sollen.“ Genau da setzt der SchoolCrime-Podcast an.
Stand: Februar 2024
Weiterführende Informationen
Weitere Links
www.smz-stuttgart.de
Alle SchoolCrime-Folgen
www.3sat.de
3sat-Doku zu True Crime
www.mdr.de
Interview zur Faszination True Crime