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"Swatting“: Ein gefährlicher Trend erreicht Deutschland

"Swatting“: Ein gefährlicher Trend erreicht Deutschland

Beim „Swatting“ wird Live-Streaming durch einen Polizeieinsatz gestört. Aus den USA erreicht der Trend jetzt auch Deutschland.

Mit „Swatting“ schwappt ein gefährlicher und gesetzeswidriger Trend aus den USA nach Deutschland: Gamer*innen, Influencer*innen oder vermehrt auch Politiker*innen wird ein Sonderkommando der Polizei auf den Hals gehetzt. Es ist nur eines von vielen Beispielen für zunehmende digitale Gewalt.

Missbrauch, Mobbing, Online-Kriminalität oder gefährliche Pranks (engl. für Streiche/Scherze): Digitale Gewalt nimmt vor allem unter jüngeren Menschen alarmierend stark zu. Ein besonders in den USA verbreiteter, alles andere als harmloser Trend scheint langsam auch in Deutschland Fuß zu fassen – „Swatting“. Darunter versteht man eine Straftat, bei der ein Notfall vorgetäuscht und die Polizei oder eine Spezialeinheit somit zu einem anderen, häufig prominenten Menschen geschickt wird – mit teilweise verheerenden Folgen.

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    Das steckt hinter „Swatting“
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    Pranks: Mehr als nur ein harmloser Spaß
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    Digitale Gewalt
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    Rechtliche Einordnung der digitalen Gewalt

Das steckt hinter „Swatting“

Das Wort „Swatting“ leitet sich von der US-amerikanischen Abkürzung SWAT ab. Dahinter steckt die amerikanische Spezialeinheit „Special Weapons and Tactics“. Beim Swatting setzen Zuschauende während Livestreams von Influencer*innen oder anderen Prominenten einen erfundenen Notruf bei der Polizei ab. Sie behaupten anonym, der oder die Influencer*in plane eine Straftat oder sei gerade dabei, sie zu verüben. Dann kann man praktisch live dabei sein, wie die Polizei die Wohnung ihres Opfers stürmt. Das klingt zunächst mal nach der Folge einer dystopischen Science-Fiction-Serie wie „Black Mirror“, ist aber in den USA längst zu einem beliebten Volkssport geworden. Schöne neue Welt, mit Folgen: Jede Menge unnötige Arbeit für Polizei und Feuerwehr, gefährliche Einsätze mit schwer bewaffneten Beamten und horrende Kosten.

In der USA hat Swatting zunächst in der Gamer-Szene großen Aufschwung erfahren. Nachdem anfangs vereinzelt Prominente wie Ashton Kutcher oder Tom Cruise ins Visier oftmals minderjähriger (und nach Eigenaussagen gelangweilter) Täter geraten und dabei Polizeieinsätze mit Kosten von bis zu einer halben Million US-Dollar verursachen, verlagert sich der Trend in den vergangenen Jahren mehr und mehr in Richtung Live-Streaming. Dort findet Swatting vor allem unter Gamer*innen Anklang: Verhasste Gegenspieler*innen werden unter falschen Aussagen bei den Leitstellen von Polizei oder Feuerwehr gemeldet, um sich für ein verlorenes Spiel zu rächen. Dabei kommt am 30. Dezember 2017 sogar ein Mann aus Kansas ums Leben. Eine harmlose Rache sieht anders aus.

Inzwischen hat sich Swatting auch auf die Politik ausgedehnt. Eine Expertin für Swatting spricht in diesem Zusammenhang von einer „Taktik des digitalen Missbrauchs“ und einem wachsenden Trend, der immer häufiger auch außerhalb der Gaming-Welt anzutreffen sei. Die Übergriffe auf hochrangige Regierungsbeamte seien mittlerweile „äußerst besorgniserregend“.

Pranks: Mehr als nur ein harmloser Spaß

Sogenannte Pranks sind nichts Neues und im Internet weit verbreitet. Während viele dieser Trends oder Streiche aber weitgehend harmlos sind, gibt es immer wieder Phänomene, die deutlich zu weit gehen, gegen geltendes Recht verstoßen und sogar lebensbedrohlich sind. Der YouTuber ApoRed sorgte beispielsweise mit seinem geschmacklosen „Bomben Thread“ für Schlagzeilen: Er ließ eine Tasche in einer Bank fallen und rief: „30 Sekunden habt ihr alle Zeit, lauft lieber, wenn euch euer Leben etwas wert ist!“ Bei einer Kundin sorgte das für Panikattacken und weitreichende Schlafstörungen, ApoRed kassierte dafür immerhin 200 Sozialstunden.

So manche Eltern beteiligen sich auf Kosten ihres Nachwuchses an diesen Pranks. Beim „Egg Cracking Prank“ etwa tun Erziehungsberechtigte so, als würden sie ein Back-Tutorial aufnehmen – nur um plötzlich ein Ei auf der Stirn des Kindes aufzuschlagen. Das ist natürlich lustig gemeint und auch keine Straftat, ist aber eben alles andere als harmlos. Bei den betroffenen Kindern kann das „zu emotionalen Schäden und einem Vertrauensverlust in wichtige Bezugspersonen führen.“ So schlussfolgert zumindest der ElternGuide.

Digitale Gewalt

Gefährliche Trends wie Swatting gehören ganz allgemein in das diffuse Feld der digitalen Gewalt. Diffus ist dieses Feld vor allem deswegen, weil es relativ neu ist – und juristisch noch immer nicht genau abgesteckt wurde. Unter digitaler Gewalt (oder Cyber-Gewalt) fallen Drohungen, Beleidigungen, Bloßstellungen oder auch Hetze gegen einzelne Personen oder ganze Personengruppen im Internet. Kurz: „Gewalt, die sich technischer Hilfsmittel bedient oder die im digitalen Raum stattfindet.“

Betroffen sind insbesondere, aber nicht ausschließlich Frauen und Mädchen. Digitale Gewalt ist ein weitverbreitetes Phänomen und ist eng verknüpft mit der analogen Gewalt. „Das bedeutet, dass die reale Gewalt im digitalen Raum fortgesetzt wird, beispielsweise bei Partnerschaftsgewalt“, so heißt es beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Das besonders Prekäre: Digitale Belästigungen enden nicht nach der Schule oder der Arbeit, erreichen sehr schnell ein großes Publikum, können nur schwer gelöscht werden und werden oftmals anonym verübt.

Rechtliche Einordnung der digitalen Gewalt

Das große Problem bei der digitalen Gewalt ist deswegen auch die Nachverfolgung der Täter*innen. Im Netz findet vieles anonymisiert statt – und es ist alles andere als einfach, Täter*innen auf die Schliche zu kommen. Dennoch betont der Weiße Ring: „Straftat bleibt Straftat, auch wenn sie im digitalen Raum begangen wird, und kann strafrechtlich und zivilrechtlich verfolgt werden.“ Der Rat des Vereins: Online-Beweise. Wie das geht, ist unter www.hateaid.org anschaulich geschildert.

Auch die Zivilgesellschaft ist beim Thema digitale Gewalt gefragt. Der Weiße Ring empfiehlt weiter: „Neben mehr Zivilcourage kann jeder aktiv werden, Anzeige erstatten oder Inhalte melden. Das hilft zum einem der Polizei, die nicht die Ressourcen hat, alle digitalen Vergehen zu sichten und zu verfolgen. Zum anderen unterstützt es auch die Betroffenen selbst. Denn sie berichten, dass ihnen bei digitaler Gewalt am meisten geholfen hat, wenn andere Solidarität zeigen und die Ungerechtigkeit bzw. die Straftat gesehen wird.“

Derzeit haben Betroffene aber eben nur sehr unzureichende Möglichkeiten. „Häufig scheitert die Durchsetzung ihrer Rechte bereits daran, dass es nicht gelingt, zügig und mit vertretbarem Aufwand Auskunft über die Identität des Verfassers bzw. der Verfasserin rechtswidriger Inhalte zu erlangen. Auch fehlt es an einem effektiven Instrument, um gegen den ständigen Missbrauch eines Nutzerkontos für Angriffe gegen eine andere Person vorzugehen“, weiß das Bundesministerium der Justiz. Es ist somit zu befürchten, dass wir insbesondere im Hinblick auf bevorstehende Wahlkämpfe noch sehr viel mehr „Swatting“ erleben werden. Deswegen wird derzeit an einem Gesetz gegen digitale Gewalt gearbeitet, um endlich für klare Verhältnisse in der Gesetzeslage und bessere Handhabe bei der Täter*innenverfolgung zu sorgen. Doch diese Dinge brauchen Zeit.

Stand: Mai 2024

Weiterführende Informationen

Über den Autor

Björn Springorum ist freier Journalist und Schriftsteller. Er schreibt u.a. für die Stuttgarter Zeitung, den Tagesspiegel und konzipiert Comic-Geschichten für “Die drei ???". Als Schriftsteller hat er bislang fünf Kinder- und Jugendbücher verfasst. Zuletzt erschienen: “Kinder des Windes" (2020), Thienemann Verlag. Er lebt in Stuttgart.